Text und Bilder: Ulrich Clees
Erinnern Sie sich an die unberührte DDR-Wohnung, die ein Architekt im Jahr 2009 entdeckte? Ungefähr so ging es uns, als der Hennefer Eisenbahnsohn Mathias Büllesbach – Jahrgang 1934 – uns im Januar 2021 eine alte Ledertasche in die Hand drückte mit den Worten: „Hier haben Sie ein paar alte Fahrkarten. Sind aber nicht mehr in gutem Zustand.“
Es war aber mehr als eine Tasche und ein paar Fahrkarten. Es war offensichtlich sein Spielzeug, mit dem er als Kind in den vierziger Jahren Eisenbahn gespielt hatte: Eine Ledertasche mit mehr als drei Dutzend Pappfahrkarten, einem Schwung Rhein-Sieg-Eisenbahn-Zettelfahrscheinen, Straßenbahnfahrkarten, Busfahrscheinen, einer Knipszange, einer aus Blech gefalteten Pfeife und Fahrplanheften – allem also, was ein Schaffner braucht. Dazu selbst gezeichnete Straßenbahn-Liniennetzpläne und ein selbstgeschriebener Befehl für den Triebwagenführer.
Zwei Fahrkarten hatte er zu Langsamfahr-Signaltafeln umfunktioniert für seine Spur-0-Blecheisenbahn. Und im geschlossenen Güterwagen dieser Blecheisenbahn: Weitere Fahrkarten, außerdem Modellbahn-Schwellen und selbst gebastelte Zugschlusssignale. Da hatte ein Kind offensichtlich ganz genau hingeschaut, wie es bei der „richtigen“ Eisenbahn aussah.
Die meisten Fahrkarten der Asbacher Strecke wurden am 1. Juni 1944 ausgegeben, diejenigen aus dem Bröltal am 11. August 1944. Offensichtlich haben Schaffnerinnen und Schaffner sie für ihn gesammelt.
Doch auch Eintrittskarten gehören zum Fundus, zum Beispiel von Schloss Homburg. Dahin ging es mit dem wanderbegeisterten Klassenlehrer: Mit der Bröltalbahn nach Benroth, von dort zu Fuß nach Schloss Homburg, zurück dann mit der Kleinbahn Bielstein – Waldbröl und – nach einem Fußmarsch durch Waldbröl – mit der Bröltalbahn zurück ins heimische Hennef.
Dazu Theaterkarten aus Berlin: Sein Vater, der dem Sohn seinen Namen vererbt hat, war Leitungsaufseher bei der Rhein-Sieg Eisenbahn. Ihm oblagen also alle elektrischen Anlagen, seien es die Freileitungen, die elektrischen Anlagen in der Hennef Werkstatt oder die Blinklichtanlagen an Bahnübergängen (wenn eine Störung sonntags repariert werden musste, nahm der Vater den Sohn auf seiner Motordraisine mit). Zur Einweisung in deren Technik reiste der Leitungsaufseher mehrfach zu Siemens nach Berlin. Offensichtlich kam die Kultur im Rahmen der Dienstreisen nicht zu kurz.
Eine Zeitreise in die vierziger Jahre haben wir da offensichtlich geschenkt bekommen, eine Zeitkapsel aus der Kindheit eines Eisenbahnersohnes, der gemeinsam mit seiner Frau zu unseren zuverlässigsten und bestinformierten Zeitzeugen gehört und der heute über sich sagt: „Ich war nie Eisenbahner, aber die Eisenbahn war immer das, was mich am meisten interessierte.“