Vor hundert Jahren: Die Rhein-Sieg Eisenbahn nimmt den Busverkehr auf

Konkurrenz belebt das Geschäft – dumm nur, wenn sie dazu führt, dass man sich selber Konkurrenz machen muss. Genau das aber widerfuhr der Rhein-Sieg Eisenbahn (RSE), als sie sich von einem privaten Busunternehmer und den Bussen der Post gedrängt sah, parallel zu ihren Zügen auch Omnibusse fahren zu lassen. Ihre ersten Linien Waldbröl – Hennef – Beuel, Hennef – Siegburg und Niederdollendorf – Oberpleis eröffnete die Bahngesellschaft vor genau hundert Jahren, am 1. Februar 1925.

Das RSE-Busliniennetz um 1930. Zeichnung: Slg. Museum Asbach im Stadtarchiv Sankt Augustin

Konkurrenz im Bröltal

In den Jahren zuvor hatte sich diese Schmalspurbahn nicht eben Freunde bei ihren Fahrgästen im Bröltal gemacht. Die Rheinlandbesetzung hatte das Bröltal in zwei Teile getrennt und wirtschaftlich erlahmen lassen: Die Grenze zwischen besetzter und unbesetzter Zone lief durch Felderhoferbrücke, das heutige Bröleck. Der obere Teil des Bröltals war vom Rheinland abgeschnürt. Zeitweise konnte man nur noch dreimal in der Woche mit dem Zug durchs Bröltal fahren, und das auch nur in Personenwagen, die den Güterzügen angehängt wurden, zudem nur von Hennef bis Ruppichteroth und nicht weiter bis zum Endbahnhof Waldbröl. Nun war es nicht so, dass das Geld auf der Straße lag: In den Jahren 1921, 1923 und 1924 unternahm die Post Versuche, einen Busverkehr zwischen Waldbröl und Ruppichteroth aufzubauen, die aber alle wegen Unrentabilität wieder abgebrochen wurden. Trotzdem: Die Konkurrenz zum Bahnverkehr stand in den Startlöchern und der vom Hennefer Unternehmer Kaiser eingesetzte Omnibus, „Kaisers Auto“, erfreute sich großer Beliebtheit. Höchste Zeit, sich unliebsame Konkurrenz vom Hals zu halten.

Wohl noch im Jahr 1925 steht hier am Bahnhof Hennef ein Bus der RSE zur Abfahrt nach Waldbröl bereit. Foto: Slg. Carsten Gussmann

Bonn und Niederdollendorf: Der Bus als bessere Alternative

Waren im Bröltal Bus und Zug ähnlich attraktiv, lag die Sache bei den anderen beiden RSE-Buslinien, die am 1. Februar 1925 in Betrieb gingen, etwas anders: In beiden Fällen schaffte der Bus Verbindungen, die der Zug nicht bieten konnte. Vom Niederdollendorf aus endete die Heisterbacher Talbahn aus Fahrgastsicht im Nirgendwo, nämlich in Grengelsbitze. Viele Menschen wollten aber weiter nach Oberpleis (oder umgekehrt von Oberpleis an den Rhein), doch die Pläne, die Bahn bis Oberpleis zu verlängern, waren nie umgesetzt worden. Der Bus fuhr nun einfach durchgehend zwischen Niederdollendorf und Oberpleis.

Gleich neben dem Streckengleis der Heisterbacher Talbahn errichtete die Rhein-Sieg Eisenbahn in Oberdollendorf eine Omnibushalle, vor der hier in den dreißiger Jahren die Busse 3 und 15 stehen. Foto: Slg. Nümm

Kaum anders war es in Beuel: Als die Rhein-Sieg Eisenbahn, die sich damals noch Brölthaler Eisenbahn nannte, im Jahr 1891 ihre Strecke von Hennef nach Beuel eröffnete, lag ihr Endpunkt direkt an der Fähre hinüber nach Bonn. Mit der Eröffnung der Rheinbrücke im Jahr 1898 lag der Bröltalbahn-Bahnhof, das heutige Restaurant „Bahnhöfchen“, ab vom Schuss, aber auch hier blieben alle Pläne, einen attraktiveren Endpunkt zu schaffen, in der Schublade. Der Omnibus nun fuhr von Hennef nicht nur nach Beuel, sondern von Anfang an über die Brücke bis in die Bonner Innenstadt und zum Kaiserplatz am Hauptbahnhof – eine echte Verbesserung. Dass auch im Bonner und Beueler Raum die verschiedenen Busunternehmen eisern ihre Reviere verteidigten, sei an dieser Stelle nur am Rande erwähnt.

Ein Bus der RSE am Bonner Kaiserplatz. Foto: Slg. Volkhard Stern

Wie unwillig die Rhein-Sieg Eisenbahn den Busverkehr aufgenommen hatte, wird im Protokoll der Aufsichtsratssitzung vom 23. Dezember 1925 deutlich, in dem daran erinnert wird, dass „der Aufsichtsrat von Anfang an nur mit Widerstreben und um unbequeme Wettbewerbe auszuschalten der Einrichtung von Autobuslinien zugestimmt hat. Er ist der Ansicht, daß sobald sich ein Verkehrsbedürfnis nicht mehr ergibt, mit dem Abbau der Linien begonnen werden kann.“ Welch eine Fehleinschätzung! Schon bald sollte der Omnibusverkehr ein wichtiges Standbein der Bahngesellschaft sein; das Streckennetz der Busse war zehn Jahre nach der Betriebsaufnahme mit 162 Kilometern fast doppelt so lang wie das Schienennetz.

Bild rechts:  Bald schon bot die RSE Ausflugsfahrten mit ihren Bussen an und bewarb sie in eigens aufgelegten Prospekten. Prospekt: Slg. Museum Asbach

Eine Reisegruppe aus Bonn am Bahnhof Ruppichteroth im Bröltal. Foto: Slg. Carsten Gussmann

Erfolgreiche Verdrängung

Der parallele Verkehr von Bussen mehrerer Gesellschaften und des Schienenverkehrs brachte den Menschen unverhofft viele Fahrtmöglichkeiten. „Seit dem 1. Februar hat das Bröltal sage und schreibe täglich 24 Verbindungen, 12 talabwärts und 12 talaufwärts“, jubilierte die Waldbröler Zeitung am 9. Februar 1925. Doch währte die Freude nur kurz; bereits am 28. März war Ernüchterung eingetreten, als das Blatt berichtete, dass „die vor Wochen noch so ausgezeichneten Verkehrsverhältnisse des Bröltals sich verschlechtert haben.“ Mit der Einrichtung der Omnibusfahrten der Rhein-Sieg Eisenbahn habe der Unternehmer Kaiser seine Fahrten einstellen müssen. Aus Sicht der Bahngesellschaft war das Ziel erreicht, aber die Zeitung klagt: „Schon aber zeigt sich der Unsegen der Konkurrenzlosigkeit. Es schleicht sich leider eine wachsende Unpünktlichkeit des Autoverkehrs ein.“

Überhaupt sollte man die Vergangenheit nicht verklären, wie der Beschwerdebrief eines erzürnten Fahrgastes lehrt, der im Juni 1930 mit seiner Frau in Hennef um 22 Uhr in den Bus nach Waldbröl gestiegen war und die Erfahrung machen musste, dass der Regen durch das teergetränkte Wagendach auf den Kopf und die Kleider tropfte. „Wir machten am anderen Morgen die Feststellung, daß der Mantel und Hut meiner Frau mit Teerflecken besudelt war“, schreibt er und fordert Schadenersatz für Hut und Mantel, die ganz neu gewesen seien. Zu allem Überfluss waren die Fahrgäste mitten in der Nacht ab Herrnstein auf sich selbst gestellt, weil der Omnibus mit Maschinenschaden liegen geblieben war. Immerhin: Sie fanden einen Weg, doch noch nach Waldbröl zu kommen, und den Kleiderschaden meldete die Bahngesellschaft ihrer Versicherung.

Bus oder Zug?

Zu dieser Zeit war sich die Bahngesellschaft noch keineswegs sicher, ob sie trotz des florierenden Omnibusbetriebs nicht auch noch auf den Schienenverkehr setzen sollte. Doch dessen Personenwagen stammten noch aus dem vorherigen Jahrhundert, man saß längs der Wände auf nackten Holzbänken, im Winter wurden die Wagen mit Brikettöfen geheizt. Die Bahn trat die Flucht nach vorn an und beschaffte von 1934 bis 1941 fünf Triebwagen, technisch hochmodern und gestalterisch vom Bauhaus inspiriert. Dennoch: Wenn „Brölbähner“ nach dem Zweiten Weltkrieg mit ihren Söhnen bei Bahndirektor Wilhelm Degenhardt vorstellig wurden, um um einen Ausbildungsplatz nachzusuchen,  bekamen sie stets dasselbe zu hören: Dass der Schienenverkehr keine Zukunft habe und sie sich für den Busbetrieb bewerben sollten.

Der Direktor sollte recht behalten, zumindest, was den Personenverkehr anging. Beförderte die Rhein-Sieg Eisenbahn noch bis 1967 Güter, zuletzt praktisch ausschließlich Basalt aus dem Westerwald zur Schiffsverladung nach Beuel, machte sie dem Personenverkehr auf der Schiene schnell ein Ende. 1951 wurde er zwischen Niederpleis und Siegburg und zwischen Hennef und Beuel eingestellt. In den Jahren 1953 und 1954 endete mit dem Schienenpersonenverkehr im Bröltal gleich der ganze dortige Schienenverkehr – die Bahn baute die Strecke abschnittsweise ab und vom jeweiligen Schrotterlös kaufte sie einen Omnibus für den nächsten Streckenabschnitt, der vollständig auf Omnibusverkehr umgestellt wurde. Immerhin noch bis 1956 fuhren Personenzüge nach Asbach, einem der Westerwälder Endpunkte der Bahn.

In manche der einstigen Lokomotivschuppen waren inzwischen Omnibusse eingezogen, so auch in Asbach. Großes Glück für uns: So blieb der Lokschuppen erhalten, und nachdem er zwischenzeitlich zum Gemeindebauhof mutiert war, sanierte ihn die Ortsgemeinde Asbach für unser Museum – 25 Jahre ist die Museumseröffnung nun her.

Und der Omnibusverkehr? Zeitlebens fremdelte die Eigentümerin der Rhein-Sieg Eisenbahn, die Basalt-AG Linz, mit dem Personenverkehr. Schließlich hatte sie die Bahngesellschaft nur zum Zwecke des Basalttransports erworben und alle anderen Geschäftszweige waren ihr nur solange lieb, wie sie keine Verluste einbrachten. Mit dem Ende des Basalttransports auf der Schiene war die RSE nun aber praktisch zu einem reinen Omnibusunternehmen geworden, zwar mit bis zu 7,3 Millionen Fahrgästen jährlich, einem Hartsteinunternehmen aber doch wesensfremd. Konsequenterweise gab es die Rhein-Sieg Eisenbahn an ein Omnibusunternehmen ab: 1973 erwarb die kurz zuvor vom Rhein-Sieg-Kreis gegründete Rhein-Sieg-Verkehrsgesellschaft (RSVG) die Aktien der RSE, 1977 auch sämtliche Omnibusse, Immobilien und das Personal.

Ein ehemaliger RSE-Bus, jetzt unter RSVG-Regie im Jahr 1981 auf dem Bonner Kaiserplatz. Foto: Volkhard Stern
Wer heute in die RSVG-Busse der Linien SB53, 512, 520 oder 529 steigt, fährt damit auf den Linien, die das Vorgängerunternehmen vor genau hundert Jahren eröffnet hat. Foto: RSVG