Lore 101

Der Regelspurwagen, den wir auf unserem Rollwagen präsentieren, ist klein und unscheinbar, und doch es ist ein Stück regionale Verkehrsgeschichte: Es ist ein Bahnmeisterwagen der Kleinbahn Beuel – Großenbusch, die von 1955 bis 1962 in Hangelar mit der Rhein-Sieg Eisenbahn (RSE) verbunden war. Lange Zeit wussten wir recht wenig über diese Leihgabe eines Vereinsmitglieds, doch zeigen nun die Informationen des ehemaligen Kleinbahn-Mitarbeiters Rolf Bohlken, dass seine Existenz auf der Kleinbahn unmittelbar mit der kurzzeitigen Verbindung zwischen Kleinbahn und Rhein-Sieg Eisenbahn in Zusammenhang steht.

Schon von Beginn an besaß die Kleinbahn einen als Nummer 74 eingereihten Arbeitswagen für den Bahnmeister und seine Rotte. Trotz aller Bastelversuche der Beueler Kleinbahnwerkstatt war er Anfang der fünfziger Jahre jedoch nicht mehr rollfähig. „Total verschlissen“, notierte Werkmeister Körber kurz und prägnant, und konsequenterweise ließ ihn die Deutsche Eisenbahngesellschaft (DEG) als Bahneigentümerin 1954 von der Firma Hambürger, Püzchen verschrotten. Bahnmeister und Rotte standen nun ohne Fahrzeug da, und trotzdem wollte die DEG keinen Nachfolger beschaffen, weil niemand voraussagen könne, wie lange der Verkehr der Kleinbahn noch aufrechterhalten werde.

Hier kommt nun die RSE ins Spiel: Weil sie ihre Strecke nach Siegburg stilllegen wollte, musste sie einen Ersatz für den Bahnhof Siegburg als Übergabebahnhof zur Deutschen Bundesbahn schaffen. In Hangelar baute sie daher einen Übergabebahnhof zur Kleinbahn Beuel – Großenbusch mitsamt Rollwagengrube, so dass nun Regelspurwagen aus dem Bundesbahn-Netz über die Kleinbahn zur RSE gelangen konnten (es gab auch Binnenverkehr zwischen den beiden Bahnen, etwa Tontransporte aus dem Pleistal zu den Hangelarer Tonwerken). Die Hoffnung auf eine Verkehrsbelebung des Verkehrs auf der Kleinbahn durch den Durchgangsverkehr zur RSE beeinflusste die Beschaffung eines neuen Bahnmeisterwagen, ein „Arbeitskampf“ der Rotte besorgte dann die Beschaffung. Federführend in diesem „Arbeitskampf“ war der damalige Bahnmeister Fritz Naujoks (bis 1945 Obmann bei Klb Pogegen-Schmalleningken).
Darum ging es: Nach der Zerstörung des Dienstgebäudes in Beuel im Oktober 1944, war die Wellblechbude des Bahnhofs Pützchen der Sammelpunkt der Rotte. Alle Arbeitsgeräte, selbst schwere Handwinden, waren dort gelagert (auch Großenbusch hatte eine eingerichtete Bude). Die Rotte weigerte sich ab 1954, mit Privatfahrrädern und Gerätschaften zu den jeweiligen Baustellen zu fahren. Frankfurt lockte daraufhin die Rotte mit einem Lohnzuschlag von 2,75 DM/Monat für diese Dienstbarkeit. Aber nur, wenn auch wirklich gefahren wurde! Die Hoffnung auf den Durchgangsverkehr und dieser „Arbeitskampf“ ließen also auch die ferne Bahnverwaltung der Beschaffung eines neuen Bahnmeisterwagens zustimmen. Fündig wurde man bei der Hafenbahn Hamburg, heute HPA. Für rund 800 DM netto kam der gebrauchte Wagen als normales Stückgut nach Beuel. Kaufdatum war der 29. April 1955, eingereiht wurde er mit der Nummer 101. Er wird in Dokumenten durchweg als Bahnmeisterwagen bezeichnet.

Der „neue“ Bahnmeisterwagen 101 steht 1981 im Lokschuppen der B-G in Beuel abgestellt
Foto: Rolf Bohlken

Die örtliche Betriebsleitung meldete der Zentrale den Fahrzeugzustand als hervorragend. Abgestellt war er in der Regel in Pützchen, aber wenn der Lagerplatz in Pützchen vermietet war, stand er im Bahnhof Bechlinghoven, wo er mit einer langen Kette an die Bockschwelle angekettet wurde. Diese stets an der Bergseite angebrachte Kette diente aber nicht nur dem Festlegen in Gleisen, sondern auch dem „Anbinden“ an eine Lokomotive, wenn die Rotte ihn zum Arbeitsort nicht zu Fuß schieben wollte. Eine Beförderung in Zügen war mangels üblicher Zug- und Stoßeinrichtungen nicht möglich.
Nach Auflösung der Rotte im Jahr 1965 wurde der Wagen nach Beuel abgefahren, obwohl er noch im Februar 1964 noch eine Hauptuntersuchung erhalten hatte. 1975, als das Lokschuppengleis abgebunden wurde, verschwand er im ehemaligen Lokschuppen und konnte auch nicht mehr herausgefahren werden. Das Foto von Rolf Bohlken zeigt in dort im Jahr 1981.

Mit der Übernahme der verbliebenden Strecke Beuel – Hangelar durch die Rhein-Sieg-Eisenbahn GmbH wurde der Bahnmeisterwagen an einen Mitarbeiter verkauft und im Jahre 2000 umfangreich aufgearbeitet. Fortan diente er vor allem dem Werkstattbetrieb in Beuel.

Lore 101 beladen mit dem Führerhaus eines Klv53 im Bahnhof Beuel.

Der Bahnmeisterwagen wurde im August 2021 in unser Museum überstellt. Hier soll er in den nächsten Jahren als Schaustück auf unserem Rollwagen restauriert werden. Er und der Personenwagen 26, welcher heute bei der Kandertalbahn beheimatet ist, sind die einzigen erhaltenen Fahrzeuge der Kleinbahn Beuel-Großenbusch.


Technische Daten:

HerstellerDraisinenbau GmbH, Hamburg
Fabriknummerunbekannt
Baujahrunbekannt
Länge2500 mm
Breite 2100 mm
Höhe600 mm
Achsstand1350 mm
Dienstgewicht0,5 – 0,65 t
Traglast4,0 t